11.02.2020

Außensteuergesetz: Kein Entfallen des fiktiven Veräußerungsgewinns nach § 6 Abs. 3 AStG bei missglückten Wegzügen

FG Münster vom 31.10.2019, 1 K 3448/17 E

Verlegt ein Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland, besteht die Gefahr, dass der deutsche Fiskus das Besteuerungsrecht für Gewinne verliert, die bei der Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft entstehen (vgl. z.B.  Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Ziel der verfassungs- und europarechtlich problematischen Regelung des § 6 AStG ist es, die Besteuerung der bis zum Wegzug entstandenen stillen Reserven an in- und ausländischen Kapitalgesellschaftsbeteiligungen sicherzustellen. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG fingiert daher einen Verkauf der Anteile an einer Kapitalgesellschaft zum gemeinen Wert, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht einer natürlichen Person,

  • die im Sinne des § 17 EStG wesentlich (d.h. innerhalb der letzten fünf Jahre unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1%) an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist und
  • mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war, wobei die unbeschränkte Steuerpflicht nicht ununterbrochen gegeben sein muss,
  • durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet.


§ 6 Abs. 1 Satz 2 AStG enthält zudem Ersatztatbestände, die der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht gleichstehen, wie beispielsweise die unentgeltliche Übertragung (auch: Vererbung) der Kapitalgesellschaftsanteile auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person oder die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens bestehende abkommensrechtliche Ansässigkeit im Ausland.
Nach § 6 Abs. 5 AStG wird die auf die fiktive Veräußerung entfallende Einkommensteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet, wenn der Steuerpflichtige Staatsangehöriger eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates ist und in einem dieser Länder nach seinem Wegzug unbeschränkt steuerpflichtig ist. In allen anderen Fällen ist eine Stundung nur nach § 6 Abs. 4 AStG möglich, die an verschärfte Bedingungen geknüpft ist (insbesondere erhebliche Härte bei sofortiger Steuerzahlung, maximal fünf Jahre, Sicherheitsleistung, regelmäßige Teilzahlungen).


Für den Fall der nur vorübergehenden Abwesenheit im Inland enthält § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG folgende weitere Sonderregelung, die dazu führt, dass mit dem Rückzug nach Deutschland die Einkommensteuer wieder entfällt:


„Beruht die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht auf vorübergehender Abwesenheit und wird der Steuerpflichtige innerhalb von fünf Jahren seit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig, so entfällt der Steueranspruch nach Absatz 1, soweit die Anteile in der Zwischenzeit nicht veräußert […] worden sind […].“


Diese Fünfjahresfrist kann vom Finanzamt nach § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG um maximal weitere fünf Jahre verlängert werden, „wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass berufliche Gründe für seine Abwesenheit maßgebend sind und seine Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht.“


Das FG Münster hatte sich in der vorliegenden Entscheidung mit der Frage zu beschäftigen, ob für die Anwendung des § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG bereits beim Wegzug eine entsprechende Rückkehrabsicht gegeben sein muss, oder ob der bloße Rückzug nach Deutschland ausreichend ist. Der Entscheidung lag folgender vereinfachte Sachverhalt zugrunde:


Der im Inland lebende Kläger war an sieben Kapitalgesellschaften zu mehr als einem Prozent beteiligt. Der Kläger gab am 1. März 2014 seinen inländischen Wohnsitz auf und zog nach Dubai. Kurz vor dem Wegzug schloss er mit seiner Mutter einen Leihvertrag über das ihm gehörende Grundstück in der A-Straße und mit seinen beiden minderjährigen Kindern einen Leihvertrag über das ihm gehörende Grundstück in der B-Straße, welches von den beiden Kindern, deren Mutter und ihrem Lebensgefährten genutzt wurde. Mit der T-GmbH, an der er zu 100 % beteiligt war, einigte er sich Anfang Juni 2014 auf eine Abfindung seiner Pensionszusage gegen Einmalzahlung. Ende Oktober 2014 veräu-ßerte er seine Anteile an zwei Kapitalgesellschaften mit Wirkung zum 1. Januar 2014 für rund EUR 1,3 Mio. Im Zusammenhang mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2014 Ende Dezember 2015 teilte der Kläger dem Finanzamt mit, dass seine unbeschränkte Steuerpflicht am 31. Dezember 2013 geendet habe, er aber ab 1. Januar 2016 seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland verlegen werde und deshalb § 6 AStG nicht anzuwenden sei.


Im Jahr 2016 hielt sich der Kläger für mehr als sechs Monate in Deutschland an verschiedenen Orten im Inland (insb. Hotels, Wohnung A-Straße, Wohnung B-Straße) auf und war daher zumindest wegen seines gewöhnlichen Aufenthalts unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Im März 2016 übertrug der Kläger dann seine Anteile an drei Kapitalgesellschaften unentgeltlich auf seinen Bruder. Im Oktober 2016 teilte der Steuerberater des Klägers dem Finanzamt mit, dass der Kläger in 2016 die Abwicklung seines Vermögens betreibe und nach den derzeitigen Planungen Anfang 2017 seinen Wohnsitz dauerhaft nach Dubai verlege, wozu es tatsächlich nicht kam. Im Laufe des Verfahrens trug der Kläger zudem vor, er sei 2014 nach Dubai gegangen, um seine Geschäftsidee umzusetzen, was sich allerdings zerschlagen habe. Anschließend habe er weitere Geschäftsideen verfolgt, die allerdings erheblichen eigenen Einsatz erfordert hätten, wozu er nicht mehr bereit war, und zudem in Deutschland hätten entwickelt werden müssen.


Das Finanzamt folgte der Auffassung des Klägers nicht, es läge eine nur vorübergehende Abwesenheit vor, und versagte die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 3 AStG. Das FG Münster bestätigte im Ergebnis die Auffassung des Finanzamts:


Da die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 AStG unstreitig erfüllt waren, musste das FG Münster nach kurzer Feststellung der Unionsrechtskonformität lediglich entscheiden, ob hinsichtlich der Kapitalgesellschaftsanteile, die der Kläger nicht veräußert hatte, § 6 Abs. 3 AStG eingreift. Nach Auffassung des FG Münster kommt die Ausnahmeregelung nur dann zur Anwendung, wenn der Steuerpflichtige bereits beim Wegzug die Absicht zur Rückkehr hat („subjektive Betrachtungsweise“). Allein der Rückzug innerhalb der fünfjährigen Frist („objektive Betrachtungsweise“) genügt nach Auffassung des FG Münster nicht, da § 6 Abs. 3 AStG keine Reparaturvorschrift für missglückte Wegzüge sei. Das FG Münster begründet seine Auffassung zum einen mit dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG, der neben der erneuten unbeschränkten Steuerpflicht als zusätzliches Tatbestandsmerkmal auch die nur „vorübergehende Abwesenheit“ fordert. Zum anderen verweist es auf § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG, wonach das Finanzamt die Fünfjahresfrist verlängern kann, wenn die „fortbestehende“ Rückkehrabsicht glaubhaft gemacht wird. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht nach Ansicht des FG Münster für eine subjektive Betrachtungsweise.


Auf der anderen Seite erteilt das FG Münster der Auffassung des Finanzamts, der Steuerpflichtige müsse bereits im Zeitpunkt des Wegzugs die Rückkehrabsicht gegenüber dem Finanzamt glaubhaft machen, eine klare Absage. Ausreichend ist vielmehr, dass der Steuerpflichtige substantiiert Tatsachen darlegt und glaubhaft macht, nach denen das Bestehen einer Rückkehrabsicht bei Wegzug als überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist. Da dies dem Kläger vorliegend nicht gelungen ist, war die Klage insoweit abzuweisen. Das FG Münster hielt eine bereits bei Wegzug bestehende Rückkehrabsicht insbesondere deshalb nicht für überwiegend wahrscheinlich, weil der Kläger keine eigenen Wohnmöglichkeiten mehr in Deutschland beibehalten hatte, mit Deutschland beruflich nicht mehr verbunden war (Ablösung Pensionsanspruch, Veräußerung der Geschäftsanteile) und der Steuerberater erklärt habe, dass die Rückkehr nur der Abwick-lung des Vermögens diene. Auch der Vortrag des Klägers zur Umsetzung der Geschäftsidee spreche eher für einen beabsichtigten endgültigen Wegzug und eine Rückkehr, weil sich diese geschäftlichen Ideen nicht umsetzen ließen. Auch der tatsächliche Rückzug des Steuerpflichtigen innerhalb des Fünfjahreszeitraums war vorliegend nach Ansicht des FG Münster ohne Relevanz, da es keine gesetzliche Vermutung gebe, dass in solchen Fällen von einer Rückkehrabsicht auszugehen sei.


Gegen das Urteil des FG Münster ist unter dem Aktenzeichen I R 55/19 ein Revisionsverfahren beim BFH anhängig.


Eine andere Sachentscheidung ist im Revisionsverfahren allerdings eher nicht zu erwarten. Zum einen sprechen die besseren Argumente für eine subjektive Betrachtungsweise bei § 6 Abs. 3 AStG. Zum anderen ist der BFH als Revisionsinstanz grundsätzlich an die tatsächlichen Sachverhaltsfeststellungen des FG Münster gebunden, die nicht geeignet sind, eine bei Wegzug bestehende Rückkehrabsicht bejahen zu können, was unseres Erachtens insbesondere daran liegt, dass ausweislich der Urteilsgründe der Vortrag der Klägerseite derart ungeschickt und widersprüchlich war. In der Praxis sollte daher bereits beim Wegzug die Rückkehrabsicht entsprechend dokumentiert und am besten auch gleich gegenüber dem Finanzamt glaubhaft gemacht werden. Sollte es beim späteren Rückzug zu Diskussionen mit dem Finanzamt über die Rückkehrabsicht kommen, ist ferner auf einen stringenten und wahrheitsgemäßen Vortrag zu achten.

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